Dies Domini – 27. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
So ein Weinberg ist eine schöne Sache. Als Tourist erfreut man sich an Wanderungen durch die ausgedehnten Rebspaliere, erfreut sich an der Aussicht, genießt die frische Luft und kehrt auf einen guten Schoppen in den Weinkeller ein. Ja, so ein Weinberg ist einfach erholsam … wenn man nicht der Winzer ist. Dann macht der Weinberg Arbeit – einfach, weil nichts so bleibt, wie es ist. Der Boden muss aufgelockert, die Reben ausgedünnt werden. Die Trauben werden verlesen und allein die Ernte in Steillagen ist immer noch von harter Arbeit geprägt. Die Früchte, die der Tourist in seiner Lust, das Gewohnte zu genießen, erhofft, sind nicht ohne Schweiß und Arbeit zu gewinnen. Ein Weinberg kennt keinen Status quo, der bewahrt werden könnte. Ein Weinberg ist ein steter und immerwährend dynamisches Projekt. Nur wer die dem Weinberg eigenen Dynamik akzeptiert, wird dessen Früchte und die Freude des Weines wirklich genießen können. Wem aber die Arbeiter im Weinberg fehlen oder wer nur Arbeiter im Weinberg hat, die eigentlich nichts tun wollen, den wird nicht wundern, dass da nur faule Trauben vor sich hin modern; er muss auch damit rechnen, dass der ganze Weinberg früher oder später zur Driesche wird, einem aufgelassenen Wingert, der zunehmend unansehnlich wird. Niemand wird mehr kommen, um sich an seiner verlorenen Schönheit zu erfreuen.
Die Bibel kennt viele Bilder für die Beziehung Gottes zu seinem Volk. Die Vater/Mutter-Kind-Metapher ist dem Alten Testament vertraut, auch ist die Rede davon, dass Gott sein Volk lieben würde, wie der Bräutigam die Braut. In einem der vielen Bilder, die die Heilige Schrift kennt, wird Israel, das Volk Gottes, auch als Weinberg beschrieben, der Gott als Winzer gehört. So ist es auch in der ersten Lesung vom 27. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A:
„Der Weinberg des Herrn der Heerscharen ist das Haus Israel und die Männer von Juda sind die Pflanzung seiner Lust.“ (Jes 5,7)
Am Beginn der Lesung stimmt der Prophet Jesaja ein Lied an:
„Ich will singen von meinem Freund, das Lied meines Liebsten von seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fruchtbaren Höhe.“ (Jes 5,1)
Hier besingt der Prophet Jesaja Gott als seinen Freund. Ausnahmsweise spricht er nicht im Auftrag Gottes, denn die sogenannte Botenspruchformel „So spricht der Herr“ fehlt hier. Es ist der Prophet selbst, der von seinem Freund, dem der Weinberg gehört, singt. Da die Weinbergmetapher eine beliebt Metapher für Israel ist, ist klar, dass Gott selbst der Freund ist. Der Freund hegt und pflegt seinen Weinberg – und das ist harte Arbeit:
„Er grub ihn um und entfernte die Steine und bepflanzte ihn mit edlen Reben. Er baute in seiner Mitte einen Turm und hieb zudem eine Kelter in ihm aus.“ (Jes 5,2a)
Er tut also alles, damit der Weinberg gute Früchte bringt, die er genießen kann. Trotzdem ist die Enttäuschung groß:
„Dann hoffte er, dass der Weinberg Trauben brächte, doch er brachte nur faule Beeren.“ (Jes 5,2b)
Die Ursache für die schlechte Ernte wird hier nicht beschrieben, nur die Tatsache, dass der Weinberg verdorben erscheint. Wohl wird die harte Therapie beschrieben, die der Besitzer des Weinbergs – das Subjekt ändert sich innerhalb des prophetischen Liedes, sodass der Freund des Propheten nun selbst zu sprechen scheint – an seinem Weinberg vornimmt:
„Jetzt aber will ich euch kundtun, was ich mit meinem Weinberg mache: seine Hecke entfernen, sodass er abgeweidet wird; einreißen seine Mauer, sodass er zertrampelt wird. Zu Ödland will ich ihn machen. Nicht werde er beschnitten, nicht behackt, sodass Dornen und Disteln hochkommen. Und den Wolken gebiete ich, keinen Regen auf ihn fallen zu lassen.“ (Jes 5,5f)
Der Besitzer lässt den Weinberg also auf. Die Therapie ist eigentlich keine. Der Besitzer scheint den Weinberg verloren zu geben. Aber warum?
In den Kapiteln vorher beschreibt der Prophet Jesaja das Gericht über die Amtsträger in Jerusalem – und das Urteil ist eindeutig:
„Der HERR geht ins Gericht mit den Ältesten seines Volkes und seinen Anführern: Ihr, ihr habt den Weinberg verwüstet; das dem Armen Geraubte ist in euren Häusern. Wie kommt ihr dazu, mein Volk zu zerschlagen? Ihr zermalmt das Gesicht der Armen – Spruch des Herrn, des GOTTES der Heerscharen.“ (Jes 3,14f)
Wer diese Zeilen auf die gegenwärtige Situation der Kirche anwendet und darin eine prophetische Kritik an einer erstarrten Kirche klerikaler Amtsträger erkennt, wird sicher nicht fehlgehen – auch wenn der Prophet Jesaja in seine Zeit zum Volk Israel, das sich im babylonischen Exil befindet und den ersten Tempel verloren hat, spricht. Geschichte wiederholt sich eben bisweilen … Trotzdem ist eine einseitige Interpretation voreilig, bekommen doch unmittelbar danach die modernen und fortschrittlichen Geister ihr Fett weg, die mit den überkommenen Traditionen brechen – vertreten in den Töchtern Zions:
„Der HERR sprach: Weil die Töchter Zions hochmütig sind, ihre Hälse recken und mit verführerischen Blicken daherkommen, immerzu trippelnd umherlaufen und mit ihren Fußspangen klirren, wird der Herr den Scheitel der Töchter Zions mit Schorf bedecken und der HERR wird ihre Schläfen kahl werden lassen.“ (Jes 3,16f)
Das Bunte ist gegenüber dem alten Schwarz-Weiß nicht zwingend die Lösung, wenn dadurch die Spaltung des Volkes Israel nicht nur nicht überwunden, sondern möglicherweise sogar vertieft wird. Das nämlich ist die Krankheit, an der der Weinberg leider – eine Krankheit, die viele Infektoren hat: Die Spaltung!
Bei Jesaja sind es nur wenige, die sich der Spaltung widersetzen. Jesaja bezeichnet sie als den „heiligen Rest in Zion“ (vgl. Jes 4,3). Er wird zwar gepriesen – aber auch der heilige Rest schafft es nicht, dass der Weinberg zur Driesche wird: Wo früher Frucht und Freude war, herrscht nur Ödnis und Moder. Ist also alles verloren?
Das Evangelium vom 27. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A nimmt die Rede vom Weinberg auf. Auch hier steht, wie bei Jesaja, die Trauer um den Verlust der Fruchtbarkeit des Weinbergs im Vordergrund. Anders als bei Jesaja fokussiert Jesus in seinem Gleichnis aber direkt auf die Arbeiter im Weinberg:
„Als nun die Erntezeit kam, schickte er seine Knechte zu den Winzern, um seine Früchte holen zu lassen. Die Winzer aber packten seine Knechte; den einen prügelten sie, den andern brachten sie um, wieder einen anderen steinigten sie. Darauf schickte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; mit ihnen machten sie es genauso. Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben. Als die Winzer den Sohn sahen, sagten sie zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn umbringen, damit wir sein Erbe in Besitz nehmen. Und sie packten ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um. Wenn nun der Herr des Weinbergs kommt: Was wird er mit jenen Winzern tun?“ (Mt 21,34-40)
Jesus selbst präsentiert die Lösung für die Frage:
„Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die Früchte des Reiches Gottes bringt.“ (Mt 21,43)
Auch wenn Jesus selbst zu den Ältesten seines Volkes spricht, springt auch hier die Analogie zur Situation der Kirche ins Auge. In Rom trifft sich in diese Tagen die Weltsynode. Die Prognosen changieren zwischen Hoffnung auf Veränderung und Warnung vor allzu großen Enttäuschungen. Progressive Christen fordern eine bunte Kirche als Heimat, in der sie sich wohlfühlen können, Konservative möchten an der Kirche, die sie kennen, nicht ändern. Kann dieser „Weinberg“ Früchte bringen? Er bringt jetzt schon keine, denn die Mauern sind gefallen, der Weinberg ist längst aufgelassen, er bringt kaum mehr Früchte.
Das scheint der größte Wahrnehmungsfehler auf allen Seiten zu sein. Gesetzt den Fall, die Kirche sei auch ein Weinberg Gottes, dann muss dort gearbeitet werden, damit er Frucht bringt. Dazu darf weder der Status quo als gesetzt betrachtet werden, noch ist er ein reiner Ort zum Wohlfühlen. Der Weinberg ist ein Ort der Arbeit, damit er Früchte bringt. Wenn hingegen die Reformer wie die Bewahrer die Kirche nur als Heimat betrachten, die sie nach je eigenem Gusto gestaltet, bewahrt oder verändert sehen wollen, dann vergessen beide, dass ein Weinberg vieles ist – nur kein Ort, an dem man sich allzu lange ausruhen kann. Die Arbeit wartet, die Früchte wollen geerntet werden. Baut also keine Luftschlösser welcher Art auch immer, sondern zieht die Schuhe an und geht in den Weinberg als Menschen, die zu arbeiten wissen. Faule Winzer, die nur ihr eigenes Häuschen im Sinn haben, haben wir schon genug – egal, ob sie bunte Schals oder schwarze Talare tragen … Das Reich Gottes wartet, verkündet zu werden, um Früchte zu bringen!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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